Innovationen verbreiten sich am Markt nicht automatisch. Im Gegenteil: zunächst bedeutet Innovation Wandel, auf den die meisten Marktteilnehmer nicht gerade warten.
Der Wissenschaftler E.M. Rogers erkannte bereits 1962, dass es bei der Verbreitung einer Innovation am Markt (sog. Diffusion) eine gewisse Systematik gibt.
Dies, da wir Menschen eine unterschiedlich grosse Bereitschaft mitbringen, Neues zu probieren. Rogers fand entsprechend, dass sich (technologische) Innovationen am Markt sequentiell unter 5 psychografischen Charakteren verbreiten.
Im Normalfall ergibt sich so eine Diffusionskurve in Form eines mehr oder weniger steilen «S», bei der die Rate der sog. Innovationsannahme oder -adoption durch Nutzer anfangs eher flach verläuft, bevor sie sich irgendwann rapide steigert, um dann wieder abzufallen.
- Die ersten Personen, die Innovationen annehmen, nennt man in dieser Logik «Innovatoren»: Sie sind offen für Risiken. Denken Sie an Menschen, die vor dem Apple Store übernachten, um am nächsten Morgen zu den ersten stolzen Besitzern des neuen iPhones zu gehören.
- Auf die Innovatoren folgen in der Diffusion die «Frühen Übernehmer» (engl. «Early Adopers»). Dies sind Personen, die daran interessiert sind, neue Technologien auszuprobieren und deren Nutzen in der Gesellschaft zu etablieren.
- In der 3. Phase trifft die Innovation auf die «Frühe Mehrheit» (engl. «Early Majority»): Das sind diejenigen, die den Weg für die Nutzung einer Innovation in der Mehrheitsgesellschaft als Teil der allgemeinen Bevölkerung ebnen.
- Die nun folgende «Späte Mehrheit» (engl. «Late Majority») übernimmt Innovationen als Teil ihres täglichen Lebens mit der allgemeinen Bevölkerung.
- Den Abschluss in der Verbreitung der Innovation bilden die «Nachzügler» (engl. «Laggards»). Diese Menschen hinken bei der Übernahme innovativer Produkte und neuer Ideen hinter der Allgemeinbevölkerung her, da sie sehr risikoavers sind. Vielfach springen sie nur auf Innovationen auf, wenn es gar nicht mehr anders geht. Es ist fraglich, ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch von einer «Innovation» gesprochen werden kann.
Innovationen konkurrieren in der Adoption gegen Bestehendes und auch gegen Wettbewerbsinnovationen, da die potenziellen Anwender in der Regel die Wahl haben, was sie übernehmen wollen. Derzeit erleben wir mit der Verbreitung von künstlicher Intelligenz (AI) eine solche Adoption.
Die Art einer Innovation und die Struktur sozialer Netzwerke sind entscheidend dafür, wann welche Marktteilnehmer eine Innovation annehmen.
Wie kann man nun Vertrauen so aufbauen, dass sich Kund:Innen möglichst rasch für eine Innovation entscheiden?
Nachfolgend ein paar Ansatzpunkte:
- Die Bedürfnisse der Menschen hinsichtlich ihrer eigenen Innovationsbereitschaft sind unterschiedlich. Aus der Sicht des Unternehmens müssen wir uns also zuerst einmal klar machen, wer das eigentlich ist, der unsere Innovation annehmen soll. Das bedeutet, wir müssen unsere Kunden genauer ansehen und überlegen, wer in welche der oben genannten Kategorien fällt. Kundenvertrauen ist kein absolutes Konstrukt, die Wahrnehmungen verschiedener Personengruppen können stark voneinander abweichen.
- Gemäss Rogers zeigen sich Innovatoren (die weniger als 3% der Population ausmachen) besonders erfreut darüber «am Puls der Zeit» zu sein. Andere Gruppen erfordern mehr Überzeugungsarbeit, zum Beispiel weil sie fürchten, eine Innovation fordere von ihnen die Änderung ihrer Gewohnheiten.
- Soziale Normen spielen in den einzelnen Adoptergruppen eine unterschiedliche Rolle. Bei den Innovatoren ist diese gering. Die Notwendigkeit einer Kompatibilität der Innovation zu Gewohnheiten und Werten steigt allerdings, je weiter die Diffusion fort schreitet. Zusammengenommen können das soziale Umfeld und die Eigenschaften der Innovation als soziologische und psychologische Barrieren für die Adoption gesehen werden, die es aus dem Weg zu räumen bedarf. Es lohnt sich also, pro Adoptergruppe die ihr wichtigen Normen in der Innovation «anzusprechen», um das Risiko abzubauen, dass ebendiese Werte durch die Innovation kompromittiert werden.
- Meinungsbildner:Innen können dabei helfen, Vertrauen in die Innovation aufzubauen und einen Systemwechsel zu erreichen, indem sie das normative Argumentarium der Innovation verändern. Facebook zum Beispiel wurde zunächst in Bildungseinrichtungen (mit Zielpublikum Studierende und Angestellte) verbreitet, die das Produkt dann über die Grenzen ihrer Institutionen in den breiten Markt hinaus trugen.
Um die richtigen (möglichst unabhängigen und vertrauenswürdigen) Meinungsführer:Innen oder Experten als Fürsprecher zu gewinnen, muss man sich klar machen, welche Adoptergruppe man vor sich hat und welchen sozialen Einflüssen diese unterliegt.
- Um die Innovationsnachfrage anzuregen, müssen Abnehmer:Innen Vorteile der Neuheit klar erkennen können. Besonders für die sogenannten «Early Adopters», die zeitlich auf die Innovatoren folgen, müssen die Vorzüge etwaige Nachteile klar überwiegen. Anders als die «frühe und späte Mehrheit» unterliegen Early Adopters kaum sozialem Druck, Neues zu probieren. Der Schwerpunkt muss hier also darauf liegen, Vertrauen in die Vorteile der Neuheit zu stärken.
- Sobald Marktteilnehmer von einer Innovation erfahren, die für sie relevant sein könnte, beginnen sie erfahrungsgemäss, weitere Informationen zu sammeln. Einfach zugängliche und verständliche Angaben darüber, warum die Innovation für Nutzer:Innen adäquat ist oder Möglichkeiten, die Innovation und ihren Nutzen in der Anwendung zu sehen oder gar selbst auszuprobieren werden umso wichtiger, je weiter die Adoption voran schreitet.
- Für alle Adoptertypen gilt: Komplexität muss abgebaut werden –Innovation muss einfach verständlich sein. Es lohnt sich immer, Neues mit Bekanntem zu verbinden, um die bei Abnehmern empfundenen Risiken zu mindern. Nicht umsonst bleiben auch bei neuen iPhone Releases gewisse Benutzeroberflächen immer gleich.
- Innovative Unternehmen müssen es der Mehrheit einfach machen, den Innovatoren und «Early Adopters» zu folgen. Wir vertrauen unseren (beruflichen oder privaten) «Peers» meist stärker als einem Anbieter, wenn wir eine Adoptionsentscheidung treffen müssen (Stichwort: Herdeneffekt). Sich über die relevanten Bezugsgruppen (Influencern) bewusst zu werden und deren Informationsaustauch und eine Weiterempfehlungsmöglichkeit schon bei der Konzeption der Innovation zu berücksichtigen, kann die Diffusion beschleunigen.
- Nicht immer sind die Nutzer auch diejenigen, die die Innovation auswählen. Implementiert ein Unternehmen zum Beispiel eine neue Buchhaltungssoftware, können nicht alle Nutzer einzelne Adoptionsentscheidungen treffen. Hier müssen zusätzliche Motivations- und Vertrauensfaktoren bedacht werden, um einzelnen Adoptionsebenen gerecht zu werden. Vor allem die Rolle von (monetären und intrinsischen) Anreizen zur Nutzung und die Einhaltung von Standards sind hier relevant.
- Je kritischer eine Innovation für uns ist (z.B. wenn die Innovation einen Einfluss auf unsere Gesundheit hat), desto wichtiger wird das Vertrauen bei der Planung ihrer Diffusion. Da sich Vertrauen bevorzugt in Netzwerken bildet, gewinnen diese an Relevanz. Die Muster von Netzwerk-Kontakten führen z.B. zu unterschiedlich grossem sozialen Druck und damit zu einer anderen Adopter-Charakteristik. Auf dem Land spielte für die Verbreitung der Antibabypille so der normative Aspekt eine viel grössere Rolle als in anonymen Städten, wo sich das Produkt via sozialem Lernen über den Produktnutzen verbreiten konnte.
- Letztlich kommt seitens Konsument:Innen immer mehr das Bedürfnis nach einem Vertrauensaufbau jenseits der eigentlichen Produktleistung, z.B. im Bereich ethischer, sozialer oder nachhaltiger Aspekte auf. Kundenvertrauen wird massgeblich durch das Verhalten einer Unternehmung und nicht nur durch Kommunikation aufgebaut. Besonders im Bereich der künstlichen Intelligenz merken wir, dass Vertrauen eine massgebliche Rolle spielt.
Es sind nicht immer die besten Ideen, die eine vorbildliche Diffusion am Markt erreichen.
Es sind allerdings immer diejenigen Ideen, die es schaffen, bei Kund:Innen in allen Phasen der Adoption Vertrauen aufzubauen – und zwar sowohl auf der technologischen, der individuellen als auch der gesellschaftlichen Ebene.
Die Verbreitung einer Innovation am Markt muss wie man sieht aktiv gestaltet werden.
Vertrauensaufbau braucht Zeit, wobei eine frühzeitige Simulation der entsprechenden Mechanismen im Diffusionsprozess entscheidend ist.
Zeit, die man einsetzt, um Kundenvertrauen aufzubauen ist nie umsonst.
Denn schliesslich lernt man Kund:Innen immer besser zu verstehen, wodurch wiederum die Adoptionswahrscheinlichkeit steigt.