“Technology is neither good, nor bad; nor is it neutral.” stellte einst Melvin Kranzberg, ein US Amerikanischer Technikhistoriker fest. Innovationen sind nicht per se gut oder schlecht – aber immer mit einer Absicht verbunden. Sie entstehen in bestimmten Situationen, aufgrund spezifischer Bedürfnisse und auch vor dem Hintergrund der beteiligten Personen.
Dies ist nicht erst seit heute klar. Schon in den 60er Jahren entstand die sog. «Technologiefolgenabschätzung» als Teilforschungsgebiet der Technikphilosophie und -soziologie, um die (ökonomischen, ökologischen und sozialen) Nebenwirkungen von Technologien auf ihre Umwelt abzuschätzen. Das Grundproblem hierbei ist (Fachleute sprechen vom «Collingridge-Dilemma»): Solange eine Technologie nicht ausreichend entwickelt ist, können ihre Wirkungen nur schwer erfasst werden. Andererseits wird es mit zunehmendem Entwicklungsgrad schwieriger, Folgen zu steuern.
Mit dem rapide zunehmenden Einfluss von Technologieunternehmen wächst der Ruf nach verantwortungsbewusster Innovation (sog. Responsible Research Innovation «RRI»).
Mehr denn je muss nicht nur die Brauchbarkeit von Entwicklungen, sondern auch Negativfolgen wie Missbrauch, ein unbeabsichtigter Gebrauch oder unvorhergesehene Konsequenzen in die Planung einbezogen und gegenüber Stakeholdern gerechtfertigt werden.
Der Schmale Grat, auf dem sich diese Forderung bewegt, wird in der EU gegenwärtig bei der Regulierung künstlicher Intelligenz deutlich: Innovation soll verantwortungsvoller werden – gleichzeitig fürchtet die Industrie Standortnachteile durch zu enge Regularien.
Es gilt, Interessen und sich unterscheidende Wertsysteme der Stakeholder, Vorsicht, Wettbewerbsvorteile, Nutzen und Risiken abzuwägen.
Neben klassischen Governance Massnahmen wie Regulierung und Standardisierung haben Unternehmen selbst vor allem zwei Mittel, um Innovationen verantwortungsvoller zu machen:
- die Bereitstellung neuer (primär wissenschaftlicher) Erkenntnisse, Einsichten und Bewertungen: das Methodenspektrum zur Folgenabschätzung ist breit und reicht von sog. «Impact Assessments», Potentialanalysen, Modellierungen, empirischen Erhebungen und Analysen bis hin zur Szenario Entwicklung[1].
- die Installation partizipativer Ansätze, um Stakeholder und ihr alternatives Wissen in jeden Entwicklungsschritt, z.B. in sog. «Communitis of Practice» oder Workshops zu integrieren.
Die folgenden wiederkehrenden Schritte können Unternehmen als Leitlinie dienen[2]:
- «Anticipate»: Beschreibe und analysiere mögliche Einflüsse (beabsichtigte und unbeabsichtigte), die sich aus der Innovation ergeben können. Hier geht es nicht um Vorhersagen, sondern um die Exploration verschiedener Perspektiven (ökonomisch, sozial, umweltbezogen).
- «Reflect»: Mache Überlegungen hinsichtlich der Beweggründe, der Motivation und der möglichen Folgen verschiedener Unsicherheiten im Projekt, wie Unwissenheit, Framings, Fragen, Dilemmas und mögliche sozialen Veränderungen.
- «Engage»: Mache Visionen, Folgen, Fragen einem weiteren Publikum im Dialog zugänglich.
- «Act»: Nutze Deine Erkenntnisse, um die Richtung der Innovation zu beeinflussen.
Neben innovationsspezifischen Bewertungsaspekten wird im Guide[3] der British Standards Institution für «Verantwortungsvolle Innovation» als zentral genannt, verantwortliche Personen für die einzelnen Schritte zu definieren.
Die Frage ist: Wer ist dafür verantwortlich, verantwortlich zu sein?
Zu oft wird angenommen, die Pflicht finde sich «oben» im Unternehmen wieder. Es wird erwartet, dass Manager gewissenhaft handeln. Die Manager wiederum bauen auf das Risikomanagement oder die Geschäftsleitung.
Es ist jedoch unbedingt eine umfassendere Verpflichtung angezeigt. Je nachdem macht es Sinn, die folgenden Gruppen einzubinden:
- Co-Entwickler der Innovation (z.B. andere Unternehmen, Geschäftspartner innerhalb der Wertschöpfungskette, Technologielieferanten sowie Interessensgruppen der Branche)
- Marktvertreter, Konsumenten und Endnutzer
- Regulatoren und Standardisierungsbehörden
- NGOs, die spezifische Gruppen repräsentieren (z.B. Patientenorganisationen, Umweltschutzgruppen)
- Individuelle Bürger, die durch eine Innovation möglicherweise beeinflusst werden
Es ist ratsam, mit der Folgenabschätzung zu beginnen, bevor die Innovation an einen «point of no return» kommt.
Der gesamte Prozess muss ferner agil und im Sinne einer interaktiven Konsensbildung verstanden werden. Dazu dient das sog. «Consequence Scanning»[4] , welches drei Fragen wiederkehrend aufgreift, um Veränderungen und deren Ursachen festzuhalten:
- Was sind die beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen eines Produkts oder einer Funktion?
- Welche sind die positiven Folgen, auf die wir uns konzentrieren wollen?
- Welche Folgen wollen wir abmildern?
Die Auswirkungen einer Technologie/Innovation und deren zukünftige Entwicklungen lassen sich in einem strukturierten Rahmen thematisieren und steuern.
Die Herausforderung für alle Beteiligten bleibt, Innovation kritisch, kreativ und systematisch durch zu denken, Verantwortung zu übernehmen und sich einem breiten und offenen Meinungsaustausch zu stellen.
Es gibt viele Gründe, die für eine kluge und verantwortungsvolle Innovation sprechen. Auf geht’s, stellen wir gemeinsam die «unangenehmen» Fragen!
[1] https://www.isi.fraunhofer.de/de/themen/technikfolgenabschaetzung.html
[2] https://www.ukri.org/about-us/epsrc/our-policies-and-standards/framework-for-responsible-innovation/
[3] https://knowledge.bsigroup.com/products/responsible-innovation-guide/standard
[4] https://doteveryone.org.uk/project/consequence-scanning/